- Hochgeschwindigkeitstechnik: Züge der Zukunft
- Hochgeschwindigkeitstechnik: Züge der ZukunftNach dem Zweiten Weltkrieg wurden die meisten europäischen Ländern mit einer neuen Situation konfrontiert: In den Jahren des Aufbaus wurden die wichtigsten Städte durch ein weitläufiges Autobahnnetz und Fluglinien verbunden, während im Nahverkehr das Auto dominierte. Man erkannte, dass nur eine tief greifende technische Erneuerung dem schienengebundenen Verkehr seinen Platz in der Zukunft sichern konnte.Es war allerdings im Fernen Osten, wo die neue Technik der Hochgeschwindigkeitszüge zum ersten Mal erfolgreich eingesetzt wurde.Erfolgreicher Start: Shinkansen und TGVBereits 1957 fiel in Japan die Entscheidung, ein neues Schnellbahnsystem aufzubauen, das die notorische Parkraumnot in den Millionenstädten des Südens beheben sollte. Dabei sollte statt der bisher üblichen, aber für größere Geschwindigkeiten unbrauchbaren Kapspur (1 067 Millimeter) die Normalspur (1 435 Millimeter) eingeführt werden. Nah- und Fernverkehr sollten auf den gleichen Gleisen und mit dem gleichen Fahrzeugmaterial betrieben werden. Beim Stromsystem entschied man sich für eine Spannung von 25 Kilovolt und für eine Frequenz von 60 Hertz.1959 erfolgte der erste Spatenstich für die neue Bahnstrecke, und am 1. Oktober 1964, dem Jahr der olympischen Sommerspiele in Japan, fuhr die erste Shinkansen-Bahn (»neue Hauptlinien«) von Tokio nach Osaka (Tokaido-Linie). Bei einer Reisegeschwindig- keit von 182 km/h legte der Zug die 515,4 km in zwei Stunden und 50 Minuten zurück.Nach dem großen Erfolg der Tokaido-Shinkansen wurde die Strecke von Osaka aus nach Hakata im Südwesten erweitert: Die Sanyo-Shinkansen — über 554 km lang — wurde 1975 fertig gestellt. Zusammen erreichen die beiden Linien etwa zwei Drittel der japanischen Bevölkerung und verbinden Gebiete, in denen drei Viertel des japanischen Wirtschaftspotenzials versammelt sind. Zwei weitere Linien mit 505 und 304 km Bahnstrecke kamen 1982 hinzu.Die enormen Investitionen wurden durch die Nachfrage gerechtfertigt: 1975 frequentierten etwa 68 000 Reisende je Kalendertag und Richtung die 1 069 km lange kombinierte Tokaido-Sanyo-Linie; dabei wurde eine Verkehrsleistung von 53 Milliarden Personenkilometern pro Jahr erreicht.Im ursprünglichen Betriebskonzept der Tokaido-Strecke war vorgesehen gewesen, die Linie in den Nachtstunden für den Güterverkehr zu nutzen. Diese Überlegungen mussten jedoch aufgegeben werden, da diese verkehrsarme Zeit für Inspektion und Instandhaltung von Gleisen und Oberleitung dringend benötigt wurde; außerdem konnten bereits mit dem Personenverkehr Überschüsse erzielt werden.Die eingesetzten Shinkansen-Züge mit 16 fest gekuppelten Wagen sind 400 Meter lang und besitzen Allachsantrieb. Die Triebwagen, die nach Morioka im Norden fahren, bestehen aus zwölf Wagen, sind nur 300 Meter lang und für die strengeren winterlichen Klimabedingungen mit einer besseren Isolierung ausgerüstet. Auf der Strecke zwischen Tokio und Hakata halten die 16-Wagen-Züge im Fernverkehr durchschnittlich alle 152,7 Kilometer, im Nahverkehr alle 39,6 Kilometer. In den Stationen gibt es getrennte Durchfahr- und Bahnsteiggleise, die in der Regel in mehreren Stockwerken angeordnet sind; darunter befinden sich Regional- und Nahverkehrsbahnen. Ein-, Aus- und Umsteigen erfordern von den Fahrgästen Disziplin und Schnelligkeit, denn der Halt am Start- und Zielbahnhof beträgt nur fünf Minuten, auf Zwischenstationen noch weniger.Das erfolgreiche japanische Shinkansen-System machte deutlich, dass Schienenschnellverkehr durchaus eine Alternative zum motorisierten Individualverkehr sein kann, und zeigte vor allem eine Möglichkeit auf, den Flugverkehr auf Kurzstrecken zu reduzieren. In Europa griffen als Erste Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, Österreich, die Schweiz, Dänemark und Schweden die japanischen Erfahrungen auf und entwickelten Konzepte, um den Schienenschnellverkehr attraktiver zu gestalten. Am konsequentesten ging die Nationalgesellschaft der französischen Eisenbahnen (SNCF) vor — ihr System des »Train à Grande Vitesse« (TGV) ließ sie zum uneingeschränkten Vorreiter des schienengebundenen Hochgeschwindigkeitsverkehrs in Europa werden.Ein markantes Merkmal der Verkehrslinien in Frankreich ist ihre sternförmige Ausrichtung auf das Zentrum Paris. Straßen-, Schienen- und Flugverbindungen konzentrieren sich auf diesen Großraum, in dem neun Millionen Menschen wohnen, etwa ein Sechstel der französischen Gesamtbevölkerung. So ist es fast selbstverständlich, dass die ersten Hochgeschwindigkeitszüge ihren Ausgang in der Hauptstadt nehmen sollten. Die erste Schnellbahnstrecke entstand dann auch zwischen Paris und Lyon; sie verbindet die beiden größten Städte des Landes und ist — durch Anbindung an das bereits vorhandene und weitgehend für höhere Geschwindigkeiten geeignete Netz — gleichzeitig die Schleuse nach Südfrankreich, zum Mittelmeer sowie in die Nachbarländer Schweiz und Italien. Die Neubaustrecke, die mit 427 Kilometern etwa 88 Kilometer kürzer ist als die alte Trasse, ist ausschließlich für die Hochgeschwindigkeitszüge reserviert, der langsamere Reise- und Regionalverkehr sowie der Güterverkehr werden weiterhin über die Altstrecke abgewickelt. Die Züge fahren mit Einphasen-Wechselstrom (25 Kilovolt/50 Hertz) und im Bereich der Zufahrtsstrecken in Paris und Lyon mit 1,5-Kilovolt-Gleichstrom; sie wurden deshalb als Zweistrom-Fahrzeuge konzipiert. Der ursprüngliche Plan, als Antrieb Gasturbinen einzusetzen, wurde 1973 angesichts der Ölkrise aufgegeben.Nachdem bereits 1981 die ersten Triebzüge die Neubaustrecke befahren hatten — und mit 380 km/h einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord aufstellten —, wurde 1983 das System TGV PSE (Paris-Südost) vollständig in Betrieb genommen. Seitdem die Fahrzeit auf nur zwei Stunden verkürzt werden konnte, hat sich die Zahl der Reisenden um 140 Prozent erhöht. Mit dem Bau einer zweiten Strecke wurde 1985 begonnen: Die 280 Kilometer lange, aus zwei Zweigen bestehende Linie des TGV A (Atlantik) verbindet Paris mit Le Mans beziehungsweise Tours; die eingesetzten Hochgeschwindigkeitszüge der zweiten Generation sind für eine Geschwindigkeit bis zu 300 km/h ausgelegt.Weitere Verbindungen nach Norden und Osten und vor allem zu den Nachbarstaaten sind geplant. Bereits seit Ende der 1980er-Jahre sind Züge im Einsatz, die neben den beiden französischen Bahnstromsystemen auch das Schweizer und das deutsche Netz mit 15 Kilovolt und 16 2/3 Hertz benutzen können.ICE und TransrapidDer in Deutschland entwickelte ICE (Intercityexpress) ist die Realisierung des mit dem IC Experimental Ende 1985 vorgestellten Konzepts: Anders als in Frankreich mit dem Mittelpunkt Paris sollen in Deutschland Städte und Ballungsgebiete durch ein engmaschiges Netz von Neu- und Ausbaustrecken miteinander verbunden werden, die Fahrtgeschwindigkeiten bis 350 km/h erlauben. Mit den zusammen 800 Kilometer langen Neubaustrecken Hannover —Würzburg, Mannheim —Stuttgart und Köln —Frankfurt sowie weiteren 3 200 Kilometern, die für den Hochgeschwindigkeitsbetrieb ausgebaut werden, soll das bundesdeutsche Bahnnetz bis zur Jahrtausendwende über 4000 ICE-taugliche Streckenkilometer verfügen. Mit den geplanten Linien verfolgt man vor allem das Ziel, im Bereich bis zu 500 Kilometer dem innerdeutschen Flugverkehr erfolgreich Konkurrenz zu machen.Das fahrplanmäßige Hochgeschwindigkeitszeitalter begann 1991 auf den Neubaustrecken Hannover —Würzburg und Mannheim —Stuttgart. Die Züge der ersten Generation (ICE 1) bestehen aus einem Triebkopf am Anfang des Zuges, zehn bis maximal 14 Mittelwagen und einem weiteren Triebkopf am Ende des Zuges. Alle Glieder sind fast übergangslos miteinander verbunden, sodass sich eine aerodynamisch sehr günstige Zugkontur ergibt. Durch die beiden Triebköpfe am Anfang und am Ende des Zuges wird der ICE 1 gleich- zeitig gezogen und geschoben. Jeder Triebkopf hat eine Dauerleistung von 6 528 PS, wodurch der ICE 1 eine Höchstgeschwindigkeit von 280 km/h erreicht. Der Antrieb erfolgt durch Drehstrommotoren, die in den Drehgestellen der Triebköpfe eingebaut sind und durch elektronische Stromrichter angesteuert werden. 1996 wurde der ICE 2 eingeführt, bei dem ein Triebkopf, sechs Mittelwagen und ein Steuerwagen (ohne Antrieb) einen Halbzug bilden, der auch separat eingesetzt werden kann. Da Triebköpfe und Steuerwagen mit Kupplungen ausgerüstet sind, können zwei Halbzüge miteinander verbunden werden.Für den 330 km/h schnellen ICE 3 wurde das Antriebskonzept entscheidend verändert: Nicht nur in den Endwagen mit den Führerständen befinden sich elektrisch angetriebene Drehgestelle, sondern zusätzlich in jedem zweiten Mittelwagen. Die Verteilung der Antriebsleistung auf viele Achsen ermöglichte eine sehr leichte Bauweise des Zuges, was das Beschleunigungsvermögen des ICE 3 und die Fähigkeit, starke Steigungen zu bewältigen, erhöht.Viersystem-Züge, die für Gleich- und Wechselspannungen unterschiedlicher Höhe und Frequenz ausgelegt sind, ermöglichen den grenzüberschreitenden Zugverkehr, der angesichts der zusammenwachsenden Märkte zunehmend an Bedeutung gewinnt.Einen völlig neuen Weg in der Geschichte des Schnellbahnverkehrs stellt die Magnetschwebebahn dar. Bei ihr übernehmen magnetische Kräfte die Aufgaben, die bei der herkömmlichen Eisenbahn Schiene und Räder erfüllen: Sie tragen das Gewicht des Zuges, sorgen für seitliche Führung und übertragen die Antriebs- und Bremskräfte.Bereits 1934 ließ sich der Ingenieur Hermann Kemper dieses neuartige schienengebundene Verkehrsmittel patentieren. Doch seine Idee wurde erst Mitte der 1960er-Jahre wieder aufgegriffen, als vor allem in Japan, den USA und Deutschland verschiedene Konzepte für magnetisch getragene und angetriebene Fahrzeuge entwickelt wurden, deren Vorteile nicht zu übersehen sind: kein Verschleiß an Fahrzeugen und Schienen, hoher Fahrkomfort, da Rollgeräusche und Stöße entfallen, große Sicherheit, da ein Entgleisen und Zusammenstöße oder Auffahrunfälle nicht möglich sind. Nachdem man sich in Deutschland 1977 für das elektromagnetische Schwebeprinzip entschieden hatte, konnte bereits zwei Jahre später mit den Transrapid 05 ein für den Personentransport zugelassenes Fahrzeug präsentiert werden.Zur Erprobung und Optimierung der Technologie, vor allem aber um größere Erfahrung mit höheren Geschwindigkeiten zu gewinnen, wurde 1984 im Emsland eine eigene Teststrecke eingerichtet. Zehn Jahre später beschloss die Bundesregierung, Berlin und Hamburg mit dem neuen Verkehrssystem zu verbinden: Bei Reisegeschwindigkeiten zwischen 300 und 500 km/h soll die Fahrzeit trotz mehrerer Zwischenstopps weniger als eine Stunde betragen. Der erste fahrplanmäßige Transrapid soll 2005/06 auf die Strecke gehen, obwohl die Technik wegen der hohen Baukosten für Fahrzeuge und Strecke nicht unumstritten ist.Europa rückt zusammenDer Start der europäischen Währungsunion am 1. Januar 1999 machte deutlich, dass der europäische Einigungsprozess langsam, aber unaufhaltsam fortschreitet. Mit dem Zusammenwachsen der Wirtschaftsräume der EU-Mitgliedstaaten und vor allem der geplanten Erweiterung der Gemeinschaft nach Süden und Osten werden zunehmend Transportmittel benötigt, die weite Strecken schnell und kostengünstig zurücklegen können.Bereits 1995 beschloss die EU im Vertrag von Maastricht die Schaffung eines transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN). Ein Jahr später wurden acht konkrete Projekte für den Hochgeschwindigkeits- und den konventionellen Eisenbahnverkehr auf den Weg gebracht mit dem vorrangigen Ziel, die mehr an nationalen Interessen ausgerichteten einzelstaatlichen Verkehrswegeplanungen für den grenzüberschreitenden Verkehr besser aufeinander abzustimmen.Die Planungen sehen unter anderem vor, dass Europa im Jahr 2015 über ein Hochgeschwindigkeitsnetz von 30 000 km verfügen soll. Die Züge sollen die Start- und Zielbahnhöfe kreuz und quer durch den Kontinent mit einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von 150 km/h verbinden. Wegen seiner zentralen Lage fällt Deutschland in diesem geplanten Netz eine besondere Rolle zu.Der grenzüberschreitende Verkehr stellt auch neue Anforderungen an die technische Ausrüstung der Fahrzeuge. So sind allein im Bereich der Stromversorgung Schnittstellen für wenigstens vier verschiedene Systeme zu schaffen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, wurde in Deutschland der ICE-Mehrsystemzug (ICE-M) entwickelt. Er erkennt die Netzspannung eines neuen Fahrleitungsnetzes automatisch und schaltet selbsttätig darauf um, sodass ein zeitraubender Stopp an der Grenze entfällt. Der Thalys-Hochgeschwindigkeitszug, ein Gemeinschaftsprodukt der Deutschen Bahn AG und der französischen, belgischen und niederländischen Bahnen, verkehrt bereits seit 1997 auf der Strecke Köln —Brüssel —Paris; er verkürzt die Reisezeit um 60 Minuten auf rund vier Stunden.Eine weitere Schwierigkeit sind die unterschiedlich leistungsfähigen Schienenwege und, vor allem an den Grenzen zu den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, die unterschiedlichen Spurweiten und Sicherungsanlagen. Deshalb wurde ein Spurwechselradsatz entwickelt, bei dem der Wechsel der Spurweite sowie der Brems- und Kupplungssysteme automatisch erfolgt. Die für Höchstgeschwindigkeiten von 120 bis 160 km/h geeigneten Radsätze können sowohl im Güter- wie im Personenverkehr eingesetzt werden. Die Umspurung kann im Zugverband und mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h vorgenommen werden, sodass ein kompletter Güterzug in wenigen Minuten von einer Spurweite auf die andere wechseln kann.Eine Weiterentwicklung des transeuropäischen Netzes stellt das paneuropäische Netz (PAN) dar. Es soll die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas mit den Ländern der EU sowie untereinander verbinden. Bis zum Jahr 2015 ist der Ausbau von zehn paneuropäischen Verkehrskorridoren geplant, die rund 20 000 km Eisenbahnstrecken, 18 000 km Straßen, 38 Flughäfen, 13 Seehäfen und 49 Binnenhäfen umfassen.Dr. Hartmut KnittelGrundlegende Informationen finden Sie unter:Eisenbahn: SicherheitseinrichtungenHughes, Murray: Die Hochgeschwindigkeitsstory. Eisenbahnen auf Rekordfahrten. Aus dem Englischen. Düsseldorf 1994.Lexikon der Eisenbahn, herausgegeben von Gerhard Adler u. a. Berlin-Ost u. a. 81990.Messerschmidt, Wolfgang: Schnelle Stars der Schiene. Der Hochgeschwindigkeitsreport. Stuttgart 1997.Rudolph, Ernst: Eisenbahn auf neuen Wegen. Hannover - Würzburg, Mannheim - Stuttgart. Darmstadt 1989.Schienenschnellverkehr, herausgegeben von Peter Münchschwander. 4 Bände Heidelberg 1989-90.Temming, Rolf L.: Eisenbahnen für morgen schon heute. Mit 300 Stundenkilometern durch Europa. Klagenfurt 1990.
Universal-Lexikon. 2012.